Typisch Wolf: Eigenwillig, verschmust, kriegerisch und Obstesser - Im Wolf Science Center mit Kurt Kotrschal

Das österreichische Wolf Science Center (WSC) liegt im weiträumigen Naturpark 40 Kilometer von Wien entfernt, der neben den Wölfen auch Wildschweine, Gamsböcke und Hochlandrinder beherbergt. Die deutschen Verhaltensforscherin Friederike Range, die ungarische Wolfsexpertin Zsófia Virányi und der "Wissenschafter des Jahres 2011", Kurt Kotrschal, forschen hier zu dem Wildtier, das in Geschichten zu Unrecht oft als der "böse Wolf" charakterisiert wird.

In Ernstbrunn sind Timberwölfe zuhause, die als ausgeglichener als die europäischen Grauwölfe gelten und sich daher besser für die Forschungsarbeit eignen.

In einem Team mit professionellen Trainern ziehen die Forscher seit drei Jahren Wölfe und Hunde mit der Hand groß und untersuchen, wie weit sich der domestizierte Gefährte von seinem wilden Vorfahren entfernt hat. Die Hunde werden dafür genauso gehalten und trainiert wie die Wölfe. Der einzige Unterschied: Die Hunde brauchen im Winter ein warmes Häuschen, den Wölfen genügt ein Unterstand.

 

Allerdings sind hier weder Wolf noch Hund Versuchskaninchen noch Kuscheltier. Sie sind Partner der Forscher und werden auch so behandelt. Begrüßt werden nicht nur die Pfleger, sondern auch die Tiere mit Namen, die Menschen mit Handschlag, die Wölfe mit einer Runde Kraulen oder einem Apfel. Denn Wölfe mögen reife Früchte, berichtet Kotrschal: Sie sind keineswegs reine Fleischfresser, was auch bei einigen Hunden noch so ist, wenn man ihnen die Wahl lässt.

 

Ein großer Unterschied zu den Hunden zeigte sich gleich am Anfang der Untersuchungen, so der Wissenschafter: Wölfe können komplexere Probleme eigenständig lösen und haben trotz enger Aufzucht ihren eigenen Kopf. Die Konzentrationsfähigkeit ist bei Hunden stärker ausgeprägt und sie führen Kommandos williger aus.

 

"Die Hunde wollen den Trainern auch gefallen. Wölfe kooperieren nur gegen Leckerlis, sonst rühren sie keine Pfote", erzählt Kotrschal. Gegen kleine Fleischstücke lösen sie dann sogar einfache mathematische Aufgaben. Es hat sich herausgestellt, dass sie sogar zwischen eckigen und runden Symbolen unterscheiden können.

 

Allerdings sollte man bei der Beschreibung der Wölfe Verallgemeinerungen vermeiden. Es kommt immer auf den Charakter und die Erfahrungen der Individuen an: Bei dem Wurf der grauen Wölfe, der vor zwei Jahren einzog, gibt es etwa Tatonga, die scheu und nervös ist. Geronimo ist dagegen sehr gelassen und zielstrebig. Bei den dreijährigen schwarzen Wölfen gibt es mit Aragon gar einen Linkspföter: Er winkt mit links.

 

"Bei Wölfen ist die Bindung an das Rudel stärker als an die eigenen Eltern", erklärt Kotrschal. Die Wölfe entscheiden in der Forschungsarbeit selbst, ob sie mitarbeiten wollen und wann es Streicheleinheiten geben darf. Ein gesunder Respekt besteht trotz der engen Beziehung zwischen Mensch und Tier in Ernstbrunn und als Vorsichtsmaßnahme gehen die Mitarbeiter nicht alleine zu einem Rudel in das Gehege. "Wölfe sind hochsoziale Tiere. Wenn man etwas über des Wesen der Menschen lernen will, muss man sich mit dem Wolf beschäftigen." Diese Wildtiere und der Mensch würden sich zum Beispiel in der Kriegsführung ähneln und um Grenzen und Gebiete kämpfen. Außerdem war der Hund schon ein enger Begleiter des Menschen, bevor dieser überhaupt sesshaft wurde.

 

Das Wolf Science Center ist weltweit einzigartig. Aus der ganzen Welt kommen Forscher und Studierende, um von den Tieren und Wissenschaftern zu lernen. Mit Wölfen zu arbeiten ist schwierig und kostenintensiv. Um ihre Arbeit fortsetzen zu können, braucht es natürlich auch finanzielle Mittel: So kann man zum Beispiel Ausflüge buchen, bei denen die wilden Tiere mit dem eigenen Kopf und starken Willen an der Leine gehen - vorausgesetzt, sie haben Lust dazu.

aus: http://derstandard.at/1329703121599/Wolfsgehege-Ernstbrunn-Zwischen-Sturheit-und-Logik-Forschen-mit-Woelfen